Wie übersteht man den ersten Vortrag auf einer Konferenz? Ein Seminar für Doktoranden am Gießener Graduate Center for the Study of Culture
Ein einmal im Jahr stattfindendes zweitägiges Seminar dient der Vorbereitung auf die erste Konferenzteilnahme als Vortragende/r. In diesem Seminar wird eine Konferenz simuliert: Jede/r Teilnehmende hält einen Vortrag, übernimmt einmal die Diskussionsleitung, stellt bei den anderen Vorträgen Fragen und hat einen Beobachtungsauftrag. Nach jedem Vortrag mit Diskussion wechselt das Seminar auf die Meta-Ebene, auf der die Erfahrungen der Teilnehmenden ausgewertet werden. Behandelt werden u.a.:
- Vor- und Nachteile verschiedener Präsentationsformen wie z.B. Postersession vs. Vortrag (PowerPoint vs. traditioneller Vortrag).
- Unterscheidung von gesprochenem Vortrag und Druckfassung.
- Wie baut man einen Vortrag auf?
- Was ist innerhalb einer bestimmten Zeitspanne vermittelbar, was bleibt bei den Zuhörenden im Gedächtnis?
- Wie geht man mit Lampenfieber um?
- Und vor allem: Wie „überlebt“ man die sich an den Vortrag anschließende Diskussion und auf was für Typen von Fragenden muss man sich einstellen?
Zu Beginn der Veranstaltung gibt es ein paar Tipps für die Erstellung und Durchführung des Vortrags, den Leitfaden für Präsenzvorträge.
Leitfaden für Präsenzvorträge
1. Rückblick
Wie gut erinnern Sie sich noch an die letzten Vorträge, die Sie gehört haben? An welche haben Sie noch mehr als nur äußerst vage Erinnerungen? Welche sind Ihnen noch lebhaft präsent? Bei denen, die Ihnen noch lebhaft präsent sind: Woran erinnern Sie sich? Nur an Inhalte? An bestimmte Arten der Präsentation? Bei denen, an die die Erinnerung vage ist: Können Sie vielleicht doch noch sagen, woran es lag, dass Sie sich kaum noch an den Vortrag erinnern? Gab es irgendeinen Auslöser dafür, dass Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt „abgeschaltet“ haben?
2. Zielgruppe
Wissen Sie zumindest ungefähr, wie Ihr Zuhörerkreis aussieht: Haben Sie es mit einer spezialisierten Konferenz zu einem Teilaspekt Ihres Faches zu tun, handelt es sich um eine das ganze Fach umfassende oder um eine fächerübergreifende Veranstaltung? Sind die Zuhörenden Wissenschaftler, allgemein Interessierte oder z.B. Teilnehmende an einer Weiterbildungsveranstaltung? Was glauben Sie, an Kenntnissen bei Ihren Zuhörenden voraussetzen zu können?
3. Inhaltliche Festlegungen
Woran soll sich jemand, der Ihren Vortrag hört, auch nach vier Wochen auf jeden Fall noch erinnern können? Welches sind die wichtigsten inhaltlichen Gesichtspunkte, die Sie auf jeden Fall „rüberbringen“ wollen? Welches sind die Informationen über den Forschungskontext, über theoretische Einbindungen usw., die Ihrer Meinung nach unverzichtbar für das Verständnis Ihres Vortrages sind?
Wie passen die von Ihnen festgelegten Inhalte und die zu deren Vermittlung notwendigen Beispiele, Datensätze, Grafiken usw. (was auch immer in Ihrem Fach das angemessene Material ist) zu der von den Konferenzorganisatoren vorgegebenen Zeit? Falls Sie feststellen, dass Sie dicht gedrängt eine abstrakte Information nach der anderen vermitteln müssen, um im Zeitrahmen zu bleiben, überlegen Sie noch einmal, ob wirklich all das, was Sie für inhaltlich unverzichtbar halten, es auch tatsächlich ist. Streichen Sie nicht auch noch die letzten anschaulichen Beispiele, Illustrationen usw.
4. Art der Präsentation
Ist die Art der Präsentation von den Veranstaltern vorgegeben (Poster-Session, Vortrag, Workshop usw.)? Falls nicht, was ist die angemessene Form für Ihren Gegenstand? Verwenden Sie Handouts und/oder Folien? Machen Sie eine Prezi- oder Powerpoint-Präsentation? Denken Sie bitte daran, dass eine Prezi- oder Powerpoint-Präsentation nicht automatisch die optimale Variante ist (wenn Sie z.B. einen argumentierenden Vortrag halten und diesen mit einer Vielzahl aufzählender bulletpoints schmücken, kann es evtl. zu einer Diskrepanz von Form und Inhalt kommen).
5. Folien etc.
Denken Sie bei allen Folien, Handouts usw. daran, dass die Zuhörer Zeit benötigen, um die Folie zu lesen und zu verstehen. Eine überfüllte, schlecht lesbare Folie, die Sie kurz zeigen, mit dem Kommentar „Ich wolle ja nur, dass Sie einen groben Eindruck gewinnen“ begleiten und gleich wieder verschwinden lassen, ist keine vortragsdidaktische Meisterleistung. Sie müssen den Text/das Diagramm usw. schon so vergrößern und entschlacken, dass er/es auf Folie lesbar ist. Setzen Sie Farben nur dort ein, wo sie funktional sind, und nicht, damit die Folie schön bunt wird. Wenn Sie Handouts machen, überlegen Sie genau, was die Zuhörenden tatsächlich schwarz auf weiß nach Hause tragen sollen, z.B. Literaturangaben, Diagramme, Strukturüberblicke.
6. Vorlesen oder frei sprechen?
Hier generelle Ausführungen zu machen, ist kaum möglich, zu unterschiedlich sind individuen- und fachspezifische Stile. Allgemein gesprochen wirkt ein freier Vortrag überzeugender als ein komplett abgelesener, aber ein Redner, der sich im freien Vortrag verheddert oder nach Ablauf der ihm zustehenden Zeit feststellt, dass er ja eigentlich noch viel zu sagen hätte, wenn er vorhin nicht über X und Y geredet hätte, wirkt auch nicht gerade souverän. Je nach dem Grad Ihrer Sicherheit im Umgang mit dem Thema und Vorträgen generell werden Sie die für Sie richtige Mischung wählen. Unterschätzen Sie nicht die Möglichkeiten, die Sie haben, Ihr eigenes Vortragsskript als eine Art Partitur zu benutzen. Dabei kann es sinnvoll sein, sich im Skript manche Passagen als „vorlesen“ und andere als „erzählen“ zu markieren, evtl. manche als „Streichkandidaten“, falls Sie sich mit der Zeit verschätzt haben usw.
Generell sollten Sie, unabhängig vom Anteil des Vorlesens in Ihrem Vortrag, davon ausgehen, dass ein Vortrag ein gesprochenes kommunikatives Ereignis ist und sich vom Vorlesen eines geschriebenen Textes für eine Fachzeitschrift oder einen Sammelband unterscheiden sollte.
7. Zeitmanagement
Sie sollten mit Ihrem Vortrag fertig sein, bevor die Diskussionsleitung Sie dazu nötigt. In den letzten Minuten möchten Sie eigentlich von sich aus Ihre wichtigsten Punkte zusammenfassen und einen Ausblick geben, da ist es wenig hilfreich, wenn in den Köpfen Ihrer Zuhörer der Gedanke „wann wird die/der endlich fertig“ vorherrscht. Sinnvoll ist es natürlich, den Vortrag vorher, möglichst vor ein paar solidarisch kritischen Zuhörern, zu proben und sich des eigenen Zeitmanagements zu vergewissern.
8. Vortrag als soziales Ereignis und Teil einer Fachdiskussion
Auch wenn Sie während des Vortrages weitgehend mit sich selbst beschäftigt sind: Ihr Vortrag findet in einem Raum statt, in dem sich andere Personen befinden, von denen einige evtl. vor Ihnen schon etwas gesagt haben. Meist werden Sie von der Sektionsleitung vorgestellt. Ignorieren Sie dies nicht, gehen Sie mit einem kurzen Dank o.ä. darauf ein, bevor Sie ‚loslegen’. Die Menschen vor Ihnen sind keine leblose Wand, als Zuhörende erwarten sie, von Ihnen angesprochen, angesehen usw. zu werden.
Falls es sich inhaltlich anbietet, sollten Sie sich während Ihres Vortrages auch auf die zuvor gehaltenen Vorträge und Diskussionsbeiträge beziehen. Das bedeutet u.a., dass Sie sich die Vorträge vor Ihrem in Ihrer Sektion auch anhören!
9. Raum und Technik
Wenn Sie Geräte verwenden, sollten Sie sich auf jeden Fall vor Beginn des Vortrags, möglichst schon vor Beginn der jeweiligen Sektionssitzung, davon überzeugen, dass die Geräte auch tatsächlich funktionieren. Auch empfiehlt es sich, den Raum möglichst früh zu besichtigen, um für so schöne Überraschungen wie ‚fest installierter Computer und Rednerpult befinden sich in Skate-Entfernung voneinander’ gerüstet zu sein.
10. Goldene Regel
Generell gilt auch für Vorträge auf Konferenzen die goldene Regel, die man in jedem Grundkurs vermittelt: Halten Sie kein Referat oder machen Sie keine Präsentation, der Sie selbst als Konferenzteilnehmer nicht zuhören möchten.
11. Vorbereitung auf die Diskussion
Versuchen Sie sich vorzustellen, welche inhaltlich interessanten und weiterführenden Fragen Fachkollegen haben könnten. Versuchen Sie sich danach vorzustellen, welche Fragen, die Sie selbst vielleicht nicht als besonders spannend und fortführend ansehen, Kollegen und Kolleginnen, die nicht so eng in Ihrem Gebiet bewandert sind, stellen könnten. Versuchen Sie, für beide mögliche Antworten zu formulieren. Darüber hinaus werden Sie auf Vorträgen auch mit Fragen konfrontiert, die Sie wahrscheinlich nicht erwarten (vergleiche Extrablatt zu den etwas ungewöhnlicheren Typen von Fragen, mit denen man konfrontiert werden kann). Überlegen Sie evtl. außerdem, welche Informationen Sie in der Diskussion auf jeden Fall „loswerden“ möchten und passen Sie dann in der Diskussion auf, ob sich tatsächlich ein Anlass ergibt, diese Informationen zu geben.
12. Verhalten während der Diskussion
Seien Sie in der Diskussion nicht nur reagierend. Sie haben zwar wahrscheinlich schon einige Fälle von Vortragsdiskussionen erlebt, in denen der Vortragende nach der ersten Frage quasi mit einem zweiten kleinen Vortrag loslegte; dies ist sicher nicht nachahmenswert. Aber gerade am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere, wenn man meint, doch beträchtliche Lücken in vielen Umfeldern des eigenen Themas zu haben, ist es nicht sinnvoll, wie ein Kaninchen vor der Schlange auf die jeweils nächste Frage zu starren; stattdessen sollte man versuchen, mit einer Mischung aus Schlagfertigkeit und auch etwas längeren Erklärungen möglichst souverän mit dieser tendenziell bedrohlichen Situation umzugehen.
13. Verhalten am Tag des Vortrags
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Sie zehn Minuten vor Vortragsbeginn in einer Ihnen unbekannten Bibliothek noch die entscheidenden Informationen zu Ihrem Thema finden. Versuchen Sie am Vortragstag die richtige Mischung aus An- und Entspannung zu finden. Wenn Sie z.B. um 18 Uhr ‚dran’ sind, sollten Sie weder alles andere vorher ausfallen lassen noch sich so engagieren, dass Sie bei Vortragsbeginn bereits erschöpft sind. Machen Sie im Verlauf des Tages etwas, was Sie entspannt.
Dass Sie vor dem Vortrag Lampenfieber haben, ist übrigens ein gutes Zeichen, nicht ein Beleg dafür, dass Sie noch nicht vortragen können.
14. Nach dem Vortrag
Lassen Sie Vortrag und Diskussion Revue passieren und halten Sie für sich fest, wo Sie besonders gut waren und wo beim nächsten Vortrag Verbesserungsbedarf besteht. Danach sollte der Vortrag für Sie ‚abgehakt’ sein, ärgern Sie sich nicht noch Stunden/Tage lang über das, was nicht optimal gelaufen ist.Belohnen Sie sich nach dem Vortrag dafür, dass Sie ihn überstanden/gut gehalten haben.