Virtuelle  Begegnungen – das Gießener Elektronische Praktikum

In der ersten Phase wurden Deutschlernende an der Baptist-University Hongkong von DaF-Studierenden der JLU Gießen betreut. Technisch möglich war eine Betreuung per E-Mail.  Bei der ersten Kohorte mussten noch Modems in den Wohnheimen der Studierenden installiert werden, die Mails wurden vorsichtshalber ohne Anhänge verschickt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung erfolgte hauptsächlich durch eine explorative Studie von Tamme 2001. Ein kurzer Überblick findet sich in Tamme/Rösler 1999.

Seit Ende der 1990er Jahre betreuen Gießener DaF-Studierende in Kooperation mit der Baptist University Hongkong und zum Teil auch mit der Deutschabteilung der Universität Wisconsin Deutschlernende an den Partneruniversitäten und reflektieren diese Erfahrungen in einem Begleitseminar, in dem die für die Studierenden relevanten Themen auf Basis von Fachliteratur erarbeitet und auf ihre Praxiserfahrungen bezogen werden.
Dieses Grundkonzept – Online-Betreuung von einzelnen oder kleinen Gruppen von Deutsch-Studierenden im Ausland – hat sich seit den 1990er Jahren nicht geändert, verändert haben sich die medialen Möglichkeiten. Durch die kontinuierliche Beforschung dieser Interaktionen ist es möglich, sich die Konstanz und den Wandel der in diesem Zusammenhang angestellten didaktischen Überlegungen anzuschauen. 
Zunächst unter dem Namen E-Mail-Tutorium eingeführt, danach als Gießener Elektronisches Praktikum weitergeführt, ist seit Ende der 1990er Jahre eine Veranstaltung ein fester Bestandteil des Studienangebots, bei der gemeinsames Reflektieren und individuelles Betreuen zusammengeführt werden. Dabei wird davon ausgegangen: „Für einen frühen Einstieg in die Lehrpraxis scheint […] eine einzelpersonenbezogene, medienvermittelte Lehrsituation in ihrer reduzierten Komplexität besonders geeignet. Die Konzentration auf einen Lernenden erlaubt den angehenden Lehrenden die genauere Beobachtung und Analyse von Lern-, aber auch von eigenen Lehrprozessen“ (Rösler/Würffel 2010: 17f)

Der nächste Abschnitt (2002-2005) erfolgte in Kooperation mit der University of Wisconsin-Milwaukee, zu dem medial noch im Mittelpunkt stehenden Austausch per E-Mail gesellten sich auch Interaktionen per Chat. Eine ausführliche wissenschaftliche Analyse erfolgte in Rösler/Würffel 2010, Teilaspekte wurden in Würffel 2004 und 2004 behandelt.
Danach wurde aus der E-Mail die ‚gute, alte E-Mail‘, sie hatte ihre Dienste geleistet. Die Kooperationen, ab 2005 wieder mit der Baptist-University Hongkong, unterschieden sich medial stark von ihren Vorgängern aus der Zeit der Jahrtausendwende, obwohl ja nicht einmal zehn Jahre vergangen waren. Die Lernplattform Moodle, Blogs, Videokonferenzen, soziale Netzwerke, was immer aus der Perspektive der Studierenden auf beiden Seiten sinnvolle Wege waren, wurde ausprobiert. Bilder, statische und sich bewegende, die zu Beginn noch kaum eine Rolle gespielt hatten, wurden selbstverständlich. Analysiert wurden diese Interaktionen u.a. in  Hess/Chaudhuri 2010, Chaudhuri 2011, Chaudhuri/ Puskás 2011 und Puskás/Kamarouskaya 2011.  Einen Überblick über die Aktivitäten bis 2013 liefert Rösler 2014. Die Entwicklung in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre wird in Hertzel/Zeyer 2022 behandelt.
Parallel zum Elektronischen Praktikum wurde eine experimentellere Kooperation in die Wege geleitet: Gießener Studierende begegneten polnischen Studierenden als Avatare an virtuellen Erinnerungsorten in Second Life. Die ausführliche Analyse dieser Daten befindet sich in Biebighäuser 2014. Kürzere Überblicke dazu finden sich z.B. in Biebighäuser 2011 und Biebighäuser/Marques-Schäfer 2009.

Publikationen zum Gießener Elektronischen Praktikum

  • Biebighäuser, Katrin (2011): Landeskundliches Lernen in der virtuellen Welt ‚Second Life’ – Ein Forschungsprojekt im Bereich Deutsch als Fremdsprache. In: Küppers, Almuth/ Schmidt, Torben/Walter, Maik (Hrsg.): Inszenierungen im Fremdsprachenunterricht. Grundlagen, Formen, Perspektiven. Braunschweig: Diesterweg, 208-220.
  • Biebighäuser, Katrin (2014): Fremdsprachenlernen in virtuellen Welten. Tübingen: Narr.
  • Biebighäuser, Katrin/ Marques-Schäfer Gabriela (2009): Text-Chat und Voice-Chat beim DaF-Lernen online: Eine empirische Analyse anhand der Chat-Angebote des Goethe-Instituts in JETZT Deutsch lernen und in Second Life. Info DaF (5), 411-428.
  • Chaudhuri, Tushar (2011): Designing Web 2.0-telecollaborations for university students. The eExchange Giessen-Hong Kong. German as a Foreign Language, 2, 126-141.
  • Chaudhuri, Tushar/Puskás, Csilla  (2011):  Interkulturelle Lernaktivitäten im Zeitalter des Web 2.0. – Erkenntnisse eines telekollaborativen Projektes zwischen der Hong Kong Baptist University und der Justus-Liebig-Universität Gießen. InfoDaF, 1,  3-25.
  • Hertzel, Angelique/Zeyer, Tamara (2022): Zu verbessern hielt ich für keine gute Idee in dieser Situation“ – zur mündlichen Korrekturkompetenz als Teil der universitären Ausbildung von DaF-Lehrkräften, InfoDaF 2022, Heft 1, 22-37.
  • Hess, Hans W./ Chaudhuri, Tushar (2010): Prinzip Vernetzung: Stabilisierung und Dynamisierung beim Fremdsprachenlernen. Fremdsprache Deutsch (42), 23-28.
  • Puskás, Csilla/Kamarouskaya, Olga (2011):  Elektronischer Austausch in dritter Generation. Synchrone Kommunikation in einem internationalen Projekt zwischen der JLU Gießen und der HKBU. In:  Schmenk, Barbara/Würffel, Nicola (Hrsg.): Drei Schritte vor und manchmal auch sechs zurück. Tübingen: Narr, 301-313.
  • Rösler, Dietmar (2003): Das Giessener Elektronische Praktikum (GEP) als Beispiel für die Verzahnung von Praxiserfahrung und systematischen Bestandteilen der Lehrerbildung. In: Bausch, Karl-Richard/ Königs, Frank G./Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.). Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven; Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 206-211.
  • Rösler, Dietmar (2014): Medialer Wandel, didaktische Konstanz? Zur Entwicklung von Online-Kooperationen am Beispiel der DaF-Studiengänge der Universität Gießen. Informationen Deutsch als Fremdsprache, 6, 2014, 489-501
  • Rösler, Dietmar/Würffel, Nicola (2005): „Gibt es dafür keinen Leitfaden?“. Wie entwickeln angehende DaF-Lehrerinnen in einem ungesteuerten E-Mail-Tutorium Aufgaben für ihre Tutees? In: Müller-Hartmann, Andreas/ Schocker-v. Ditfurth, Marita (Hrsg.): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task-based language learning and teaching; Festschrift für Michael K. Legutke. Tübingen: Narr,  323-346.
  • Rösler, Dietmar/Würffel, Nicola (2010): Online-Tutoren. Kompetenzen und Ausbildung. Tübingen: Narr.
  • Schueller, Jeanne (2007): One Good Turn Deserves Another. Sustaining an Intercultural E-Mail Exchange. Unterrichtspraxis 40 (2), 183-196.
  • Tamme, Claudia (2001): E-Mail-Tutorien. Eine empirische Untersuchung E-Mail-vermittelter Kommunikation von Deutschstudierenden und Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrenden in der Ausbildung. Online verfügbar: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2003/1009/ (08.10.2014).
  • Tamme, Claudia/Rösler, Dietmar (1999): Heranführung an den autonomen Umgang mit neuen Medien im Fremdsprachenunterricht und in der Lehrerausbildung am Beispiel von E-Mail Tutorien. Fremdsprachen Lehren und Lernen, 80-98.
  • Würffel, Nicola (2002): Elektronisches Praktikum an der Justus-Liebig-Universität Gießen: Eine neue Form des lernenden Lehrens. ÖDaf Mitteilungen (1), 72-82.
  • Würffel, Nicola (2004): „Und wenn die Wellenlänge nicht stimmt?“. Zum Einfluss affektiver Faktoren auf Verstehenssprozesse in elektronischen Lehr-Lernsituationen (Elektronisches Praktikum). Fremdsprache und Hochschule (74), 7-25.
  • Würffel, Nicola (2007): Wie macht man Studierende zu erfolgreichen Online‑Tutoren? (Steuerungs-) Erfahrungen einer Dozentin im elektronischen Praktikum. In: Schneider, Susanne/Würffel Nicola (Hrsg.): Kooperation & Steuerung. Fremdsprachenlernen und Lehrerbildung mit digitalen Medien. Tübingen: Narr, 197-219.